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DER LAUSCHER AN DER WAND, HÖRT SEINE EIGNE SCHAND
Es gibt einige Unternehmen, denen wir alles zutrauen würden, zum Beispiel Amazon, Facebook und der Deutschen Bahn. Und trotzdem nutzen wir sie gerne, weil es nun mal bequem ist und wir denken, dass nichts dran vorbeiführt. Jüngst wurden wieder Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit von Facebook laut. Ich glaube, ich habe den Artikel auf Facebook entdeckt. Darin ging es um die Frage, ob das Unternehmen uns heimlich belauscht, um uns dann mit der zu unseren Gesprächen passenden Werbung zu konfrontieren. Kreuzschockschwerenot! Wie unangenehm, nachgerade unheimlich wäre das denn bitte? Zunächst mal: Ja, der Facebook-Algorithmus ist gruslig. Aber dazu muss uns überhaupt niemand abhören. Was wir sonst so an Daten rausrücken, reicht schon vollkommen aus.
Spätestens seit 2016 kursieren Geschichten, in denen es um Zuckerbergs großen Lauschangriff geht. Smartphones sind Wunder der Technik. Da sind Mikrofone und andere faszinierende Dinge drin verbaut, von denen Einstein niemals zu träumen gewagt hätte. Und der Typ hat sich immerhin die Relativitätstheorie ausgedacht!
Es gibt zahlreiche Apps, die das Abhören von Handys ermöglichen. Diese werden gerne von übergriffigen Eltern, Stalkern und paranoiden Partnern genutzt und heißen zum Beispiel Spyzie, FlexiSPY oder Myspy. Warum sollten wir also nicht auch von Facebook abgehört werden? Weil die das gar nicht nötig haben!
ZUFALL? NEIN! DOCH! OH!
Wer etwas glauben möchte, findet immer Gründe. Man muss nur kurz im eigenen Erfahrungsschatz wühlen, um Bestätigung zu erfahren. Die These, dass wir abgehört werden, könnte im Handumdrehen untermauert werden. Heute zum Beispiel: Kaum jammere ich meinem Mann vor, dass die Tomatenpflanzen von der Braunfäule befallen sind, kriegt der auch schon auf Facebook einen GEO-Beitrag über Braunfäule angezeigt. Das liegt allerdings eher daran, dass er bei Facebook als Gartenbesitzer bekannt ist und der direkt aus der Hölle kommende Schädlingspilz Phytophthora infestans gerade so ziemlich alle Gartenbesitzer*innen Deutschlands in den Wahnsinn treibt, weil der Sommer nun mal ziemlich verregnet war. Man muss also beileibe kein Wahrsager sein oder jemanden abhören, um davon ausgehen zu können, dass ein Garteninteressierter derzeit Probleme mit der Braunfäule hat.
Mit Konsumgütern sieht es ähnlich aus. Kürzlich überlegt, irgendwas zu kaufen und dann von Facebook darauf aufmerksam gemacht worden? Zufall? Nein, nicht möglich! Doch! Wir sind leichter berechenbar als wir denken und die Auswahl an relevanten Konsumgütern ist gar nicht so groß, wie wir meinen. Hinzu kommt, dass die tausend Dinge, über die wir uns nicht unterhalten haben und die uns aber trotzdem angezeigt werden, nicht auffallen – unsere Kaufentscheidungen aber trotzdem oft beeinflussen. Es ist ein bisschen wie mit den Schwangeren, die plötzlich überall Schwangere sehen. Da denkt ja auch keiner: Oh Gott, die sind schwanger, weil ich schwanger bin und darüber gesprochen habe! Es ist schlichtweg eine Wahrnehmungsverschiebung. Und gleichzeitig funktioniert Targeting genau so. Bedürfnisse, die ohnehin vorhanden sind, werden befeuert und neue generiert. Abgehört müssen wir dafür gar nicht werden. Wer sich trotzdem unwohl fühlt, kann in den Einstellungen Facebook den Zugriff auf das Mikrofon verweigern. Und wer Spaß dran hat, sich vorzustellen, dass Zuckerberg einen abhört, kann sich weiterhin in diesen James-Bond-Fantasien ergehen und vielleicht mal öfter Quatsch reden, nur um den Algorithmus zu verarschen. Ich wünsche mir zum Beispiel eine einzelne, in Parfum schwimmende Pflaume, serviert in einem Herrenhut!