AMAZON – DER EXPERTE FÜR ASTRONOMISCHE BETRÄGE
Die luxemburgische Datenschutzbehörde CNPD (Commission nationale pour la protection des données) greift nach den Sternen – sie verhängte eine Strafe in astronomischer Höhe gegen Amazon: 746 Millionen Euro soll der Konzern für Verstöße gegen die DSGVO bezahlen. Das trifft das Unternehmen, das seinen Ex-CEO und Gründer gerade für mehrere Millionen Dollar ins All geschossen hat, freilich hart. Bevor Jeff Bezos für ganze acht Minuten in einer phallusförmigen Rakete in den Orbit flog, hat er schnell noch beim Universum seinen Rückflug bestellt und Andy Jassy als Nachfolger für den CEO-Posten eingesetzt. Und der muss sich jetzt heftig über die Rekordstrafe ärgern, die die CNPD fordert.
Amazon will das bisher höchste DSGVO-Bußgeld, das jemals verhängt wurde, auf keinen Fall bezahlen und in Berufung gehen, denn, so erklärt ein Sprecher des Konzerns: „Es gab keine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten, und es wurden keine Kundendaten an Dritte preisgegeben“. Armes Amazon! Hat denn wirklich keiner Verständnis für das Datenschutzopfer? Die CNPD hat bisher selbst noch nicht einmal Stellung zu dem Fall bezogen, aber in Amazons Quartalszahlen für das 2. Quartal 2021 taucht das Ganze schon auf. Das DSGVO-Opfer heult sich einstweilen beim Finanznachrichtendienst Bloomberg aus. Wie gemein ist es bitte, Grenzen gesetzt zu bekommen, wenn es darum geht, Kund*innen basierend auf ihren Daten zu schröpfen? „Die wollen’s doch!“, argumentiert Amazon. Aber ist das wirklich so? Am gleichen Tag, an dem ich die Meldung zur bisher geforderten Höchststrafe in puncto DSGVO lese, kommt mir auch folgender Post in einer Facebook-Gruppe unter: „Hallo ihr Lieben! Unser Geld geht über Amazon weg wie warme Semmeln! Hat jemand einen Tipp, wie man das ändern kann? Irgendein Gedankengang vielleicht…“ Mehrere hundert (!) Menschen, die ein ähnliches Problem haben, antworten darauf. Amazon ist für viele zur Schuldenfalle geworden. Und ich frage mich: Wollen die Leute es wirklich? Basiert der Erfolg des US-Konzerns nicht vielleicht doch auf ziemlich manipulativen Verkaufstaktiken? Und hat das wirklich nichts mit persönlichen Daten, die das digitale Kaufhaus sammelt und verarbeitet, zu tun?
MEISTER DER MANIPULATION
Das Erfolgsrezept des Unternehmens heißt Targeting. Das machen mittlerweile fast alle Onlinehändler, aber Amazon hat die exakte Zielgruppenansprache perfektioniert. Je mehr eine Person bestellt, desto mehr gibt sie von sich preis – und desto genauer können Bedürfnisse aufgegriffen, vorhergesagt und generiert werden. Und dann geht das Geld eben weg „wie warme Semmeln“. Das fühlt sich erstmal ziemlich geil an und kann auch süchtig machen. Da könnte man freilich sagen: „Tja, Pech, wer so dumm ist, sein ganzes Geld auszugeben, dem gehört es nicht anders!“ Aber man könnte auch sagen: „Tja, Pech, wer so dumm ist, sich Heroin in die Vene zu jagen, dem gehört es nicht anders!“ Stattdessen könnte man aber auch mal darüber nachdenken, wie Verbraucher*innen vor süchtig machendem Marketing geschützt werden können. Eine Möglichkeit wäre es, anständig und für jeden verständlich über Verhaltenspsychologie und digitalen Kapitalismus aufzuklären – jeden Erwachsene und jedes Kind. Die Alternative: Unternehmen auf die Finger klopfen, die gesammelte Daten dazu verwenden, Kund*innen gezielt zu manipulieren. Am besten wäre natürlich beides.
Die Entscheidung der CNPD geht übrigens auf eine Sammelbeschwerde der französischen NGO „La Quadrature du Net“ zurück. Die Bürgerrechtsaktivist*innen hatten die Beschwerde im Namen von 10.000 Personen bereits 2018, mit Inkrafttreten der DSGVO, eingereicht.
Selbst wenn der Konzern erfolgreich gegen die geforderte Strafzahlung vorgehen wird – und das zeichnet sich bereits ab -, ist es doch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn die DSGVO soll nicht nur vor Datenpannen und Sicherheitslücken schützen, sondern auch vor bewusster Manipulation von Menschen auf Grundlage von persönlichen Daten, die ohne genaue Kenntnis der Betroffenen erhoben und verarbeitet wurden. Datenschutz ist so viel mehr als nur „Name, Adresse, Telefonnummer“ – Datenschutz soll Menschen auch vor den technischen Möglichkeiten zur Manipulation schützen, von denen die meisten von uns noch keinerlei Ahnung haben. Und dafür sollten wir der DSGVO verdammt dankbar sein.