Es ist ja so: Wer mit jemandem zusammen ist, der total viel zu bieten hat, aber leider ein kontrollwütiger Stalker ist, kann die ganzen tollen Sachen nicht so richtig genießen. Es bleibt immer ein ungutes Gefühl. Manchmal ist man in der Lage dazu, es auszublenden, aber wenn einer ankäme, der ebenso viel zu bieten hätte und auf die totale Überwachung verzichten könnte… Tja, dann wäre man wohl weg. Okay, zugegeben: Das hat nicht viel mit Liebe zu tun. In der Liebe soll es schließlich nicht darum gehen, was der Partner zu bieten hat. Das wäre ja total berechnend und unromantisch! Aber wenn es um eine Suchmaschine oder einen Browser geht, kann man durchaus so argumentieren.
Good old Google guckt gern. Das wissen wir nun wirklich alle. Gleichzeitig hat good old Google aber auch eine Menge zu bieten. Vertrautheit zum Beispiel, was übrigens nicht das Gleiche wie Vertrauen ist. Wenn ich Knastpsychologe bin und jeden Tag mit einem Serienmörder spreche, dann ist mir der Umgang mit ihm total vertraut – das heißt aber noch lange nicht, dass ich ihm vertrauen kann. Außer, ich heiße Clarice Starling. Dann bin ich safe.
Google wird gleichzeitig geliebt und gehasst. Wir sind quasi Suchmaschinen-Borderliner. Und weil der Konkurrenzdruck mittlerweile groß ist, unternimmt der Datenschutz-Saulus nun einen Versuch, zum Privacy-Paulus zu werden. David Temkin, seines Zeichens Google-Produktmanager, gelobte kürzlich, dass sein Unternehmen in Zukunft keine Technologien mehr nutzen wolle, die User verfolgen könnten: „Um das Internet offen und zugänglich für alle zu halten, müssen wir alle mehr für den Schutz der Privatsphäre tun – und das bedeutet nicht nur ein Ende der Cookies von Drittanbietern, sondern auch jeglicher Technologie, die dazu verwendet wird, einzelne Personen beim Surfen im Internet zu verfolgen.“ Oho, gut gebrüllt, Löwe!
Der Verzicht auf das Brachial-Tracking klingt aus dem Mund des Vertreters eines Unternehmens, das von Brachial-Tracking lebt, fast wie ein Ordensgelübde aus dem Mund Casanovas. Und bevor Bruder Giacomo fromm wird, muss man sich natürlich fragen, was er eigentlich vorhat. Und bei Google ist es genauso…
KEKSE WEG UND AB IN DEN SANDKASTEN!
Bereits im Sommer 2019 hatte Chrome-Chefentwickler Justin Schuh den Usern ein „privateres Web“ versprochen. Google Chrome sollte innerhalb von zwei Jahren Cookie-frei werden. Statt auf Cookies, die Nutzerinnen und Nutzer verfolgen, sollten andere Lösungen her, die Google in der Privacy Sandbox zusammenfasst. Ziel war es damals schon, weiterhin passgenaue Onlinewerbung zu ermöglichen, aber dabei die Privatsphäre der User zu wahren. Tja, ein schwieriges Unterfangen, viel über jemanden zu wissen, ohne etwas über ihn herauszufinden. Ganz ohne geht es natürlich nicht, nur eben anders. Digitale Cookies genießen keinen guten Ruf. Dann müssen sie eben ersetzt werden! Zum Beispiel durch Browser Fingerprinting. Dadurch wird der User letztendlich aber doch wieder verfolgt, da er aufgrund ziemlich langer und einzigartiger Erkennungs-IDs eindeutig identifizierbar ist.
Ein anderer Ansatz trägt den Namen FloC, was natürlich an „flock“, die Herde (z.B. eine Schafherde) erinnert, aber hier für Federated Learning of Cohorts steht. Eine cookiebefreite Zielgruppenerkennung soll in Zukunft dafür sorgen, dass uns Werbetreibende weiterhin zielsicher erreichen können, wir als Einzelne aber in der „Herde“ untergehen.
Im Prinzip würde das aber nicht viel ändern. Möglicherweise wäre die Verhaltensmodifikation, die damit bei Verbrauchern erreicht werden kann, sogar massiver. Individualisierte Werbung ist in einigen Punkten weniger effektiv als man meinen mag. Vor vielen Monaten hat meine Tochter nach Trampolinen Ausschau gehalten – und obwohl wir längst eins haben, werden uns immer noch welche empfohlen. Der Algorithmus scheint in einigen Punkten nicht der „Hellste“ zu sein. Werden Menschen allerdings in Zielgruppen zusammengefasst, könnte das sehr viel mehr bringen. Wer zum Beispiel in der „Fitnessfan-Kohorte“ ist, könnte sich auf allerlei Innovationen in dem Bereich gefasst machen – und da wäre im Grunde genommen mehr drin als bei einer allzu individualisierten Herangehensweise. Ein bisschen Unschärfe ist in vielen Fällen effizienter als zu viel Genauigkeit. Ein wenig Fuzziness hat noch nie geschadet! Bei der Partnersuche sind schließlich auch nicht allzu hohe Übereinstimmungen mit der eigenen Persönlichkeit gefragt – man will ja nicht mit sich selbst zusammen sein -, sondern in etwa 20% Andersartigkeit. Und mit Kohorten, müsste Google die Herde eigentlich gut im Griff haben. Sorgen brauchen wir uns um den Tech-Giganten jedenfalls nicht zu machen…