EUPHORIE STATT PANDEMIE
Im vergangenen Jahr lautete der Titel der ersten Datenschutzkolumne „Infektion statt Emotion zum Jahreswechsel“ – und wie sich das Jahr 2020 dann entwickelt hat, ist hinlänglich bekannt. Der Titel war weniger prophetisch geplant als er es letztendlich geworden ist. Eigentlich ging es nur um einen Cyberangriff auf eine Hochschule in Hessen. Einen Monat lang war die Justus-Liebig-Universität Gießen wegen Emotet offline. Was für schöne Zeiten müssen das gewesen sein, in denen das noch eine ausführliche Berichterstattung gerechtfertigt hat. Dass eine Lernplattform platt ist und ihrem Namen damit alle Ehre macht, gehört ein Jahr später zum Alltag. Als der Distanzunterricht nach den Weihnachtsferien startete, war es fast schon keine Meldung mehr wert, dass bei unzähligen Schülerinnen und Schülern gar nix mehr ging. Da musste nicht einmal Emotet ran. Die schiere Masse an Schülern hat schon gereicht, um die Infrastruktur vielfach zum Zusammenbruch zu bringen.
Aber was nützt es, zu klagen? Probleme sind dadurch noch nie gelöst worden. Stattdessen sollte die Chance genutzt werden, um eine wirklich tragfähige und sichere Infrastruktur auszubilden. Eine Krise trägt immer entscheidend zu einer Entwicklung bei. Das ist nicht neu, aber wir sollten es uns immer wieder aufs Neue bewusst machen.
Deshalb heißt die erste Kolumne dieses Jahres „Euphorie statt Pandemie“ – in der Hoffnung, dass auch darin ein prophetischer Kern stecken möge. Vielleicht ist die Projekt29-Datenschutzkolumne ja so eine Art Jahresorakel, wie einst der Fußballorakelkrake Paul.
Was also könnten wir zum Anlass nehmen, euphorisch zu werden? Was genau ist eigentlich das Rauschhafte am Datenschutz? Wirklich bekannt ist dieses Feld dafür nicht gerade. Wobei es ja auch sedierende Drogen gibt…
Wissen zum Thema Datenschutz ist ein machtvolles Tool. Keine Ahnung davon zu haben, führt zu einem Gefühl des Ausgeliefertseins. Ausgerechnet an Heiligabend wurden die Nutzer*innen der Online-Leseplattform NetGalley darüber unterrichtet, dass die Seite gehackt und sämtliche Daten und Passwörter gestohlen worden waren. Kreuzschockschwerenot. Panik breitete sich unter den User*innen aus. Könnte auf diese Weise etwa über Weihnachten das Bankkonto geplündert werden? Weiß der Chef jetzt, was jemand liest („Wie Sie Ihren Boss bei Gehaltsverhandlungen aufs Kreuz legen“)? Wie war so etwas überhaupt noch möglich, im Jahr 2020? Es ist u.a. deshalb möglich, weil immer noch zu wenig Bewusstsein in puncto Datenschutz und Datensicherheit vorhanden ist – auch bei Webseitenbetreibern?
In einer Zeit, in der sich fast das ganze Leben online abspielt, sind wir eigentlich gezwungen, uns verstärkt mit den Themen Datenschutz und Datensicherheit auseinanderzusetzen. Wer viel Geschlechtskehr hat, muss sich schließlich auch mit dem Thema Verhütung beschäftigen. Wer keinen hat, kann sich das sparen. Außer der Papst, aber der zählt nicht.
Eine Freundin hat mir kürzlich erzählt, dass eine übergriffige Prüfungsamtsekretärin sie gegen ihren Willen in der Kartei ausfindig gemacht habe – mehr oder weniger aus persönlicher Neugierde. Nachdem sie der Sekretärin mitgeteilt hatte, dass sie das nicht wolle, hatte diese geantwortet: „Des is fei Datenschutz! Sie können doch hier nicht anrufen und mich etwas fragen und mich dann nicht in Ihre Akte schauen lassen!“ Nun wollte meine Freundin von mir wissen, ob das wirklich Datenschutz wäre. Und ich so: „Was denn bitte?“ Meine Freundin hatte die Befürchtung, dass die Sekretärin sie aus Datenschutzgründen „drankriegen“ könnte. Ich verstand kein Wort mehr. Die Sekretärin hätte einfach nur eine allgemeine Frage beantworten sollen und wollte gleich auf die Daten der Studierenden zugreifen, obwohl das weder erforderlich, noch gewünscht gewesen war. Und um meine Freundin unter Druck zu setzen, rechtfertigte sie das Ganze mit „Datenschutz“. Das Verrückte an der Sache: Es hat funktioniert. Meine Freundin hat Angst bekommen, weil sie eben gar nicht so genau weiß, was es mit dem Datenschutz auf sich hat. Datenschutz, das sind vor allem Verbraucherrechte. Und unsere Rechte sollten wir kennen. Wäre das nicht ein großartiger Vorsatz fürs neue Jahr, herauszufinden, inwiefern Gesetze und schützen? In meinen Augen wäre die Vorstellung, über die eigenen Rechte Bescheid zu wissen, auf alle Fälle ein Grund zur Euphorie. Regelmäßig Artikel zum Thema zu lesen, hilft. Es muss nicht erst etwas Schlimmes passieren, damit wir Erfahrungen sammeln können. Mir hat es zum Beispiel gereicht, davon zu hören, dass es sehr schmerzhaft sein soll, auf eine heiße Herdplatte zu fassen. Ich hab’s selbst nie ausprobieren müssen. Von den Lippen der Liebe und von der Geißel des Leides lernen wir, deshalb plädiere ich für mehr Liebe zum Datenschutz und Dankbarkeit für die DSGVO.