Treuherzigkeit zahlt sich aus – für Datenkraken und Hacker zum Beispiel. Diebe reagieren bekanntlich besonders empfindlich, wenn sie selbst Opfer eines Diebstahls werden. Im vergangenen Herbst verhängte die britische Datenschutzbehörde ICO (Information Commissioner’s Office) wegen des Cambridge-Analytica-Skandals die Höchststrafe gegen Facebook, das im Bereich Datenschutz weiß Gott kein leuchtendes Vorbild ist. Gut, die 500.000 Pfund (etwas über eine halbe Million Euro) dürften das Unternehmen nicht allzu sehr geschmerzt haben, aber der Imageverlust war beträchtlich. Nun wurden wieder mal Nutzerdaten abgegriffen – und zwar, ohne dass Facebook selbst daran verdient hätte! Frechheit! Am Freitag hat die US-Datenkrake deshalb zwei ukrainische Datendesperados verklagt. Zu einer Unterlassungsklage gesellt sich auch noch eine Schadensersatzforderung, da Facebook ein finanzieller Nachteil in Höhe von 75.000 US-Dollar entstanden ist.
Andrey Gorbachov und Gleb Sluchevsky heißen die Hacker aus Kiew, die sich Zugang zu den Nutzerdaten mehrerer zehntausend Facebook-User verschafft hatten, um eigene Ads im Facebook-Feed zu platzieren, selbstverständlich ohne auch nur eine Kopeke dafür zu bezahlen. Mehr als 63.000 Browser wurden durch Plugins, zu deren Installation die App-Nutzer nach der Anmeldung (via Facebook) aufgefordert worden waren, kompromittiert. Die Datendiebe hatten die Anmeldung für ihre App über ein Facebook Login laufen lassen – dieses praktische Feature nutzen viele App-Entwickler z.B. für App-Stores, weil eine Anmeldung via Facebook vielen Usern äußerst bequem erscheint. Aus genau diesem Grund kriegen wir auch regelmäßig mit, wer von unseren Freunden sich gerade welche Pizza liefern lässt, auf einer Datingplattform nach dem richtigen Deckel sucht oder mehrere Stunden am Tag damit verbringt, virtuelle Burgen zu bauen und Armeen aufzurüsten.
Die Ukrainer verkauften aber weder Essen noch potenzielle Partner oder Strategiespiele, sondern Quatsch-Quizze. Ich kenne Menschen, die mehrere Stunden am Tag damit verbringen, unsinnige Fragen mit noch unsinnigeren Antworten durchzuquizzen. Bisher hat sich mir der Sinn solcher Fragen, die keinerlei Rätselcharakter, sondern allenfalls eine Art dadaistische Orakelfunktion haben, zwar noch nicht erschlossen, aber ich vermute stark, dass der Schmerzmittelkonsum astronomische Ausmaße annähme, wenn Langeweile wehtun würde… Die Ukrainer köderten die User mit Fragen wie „Do you have royal blood?“, „You are yin. Who is your yang?“ und „What kind of dog are you according to your zodiac sign?” (Quelle: CNN).
Okay, man könnte jetzt natürlich gemein sein und sagen: Wer allen Ernstes wissen will, welche Hunderasse er aufgrund seines Sternzeichens wäre, dem gehört’s nicht anders, aber so funktioniert die Sache mit einer verbraucherfreundlichen Gesetzgebung nun mal nicht. Auch Menschen, die es brennend interessiert, wer ihr Doppelgänger aus der Vergangenheit ist („Who is yours (!) doppelganger from the past?“) müssen vor Datenmissbrauch geschützt werden.
KEIN KOFFER VOLLER GELD FÜR DEINE HANDYNUMMER
Den beiden ukrainischen Entwicklern wurde mittlerweile das Handwerk gelegt, doch die Treuherzigkeit der Menschen bleibt. Vor allem in Nostalgiegruppen („Wir Kinder der 80er“ etc.) und auf „Wisst ihr noch?“-Seiten verlocken alltägliche Fragen dazu, reflexhaft zu antworten. Menschen mit einem ausgeprägten Mitteilungsbedürfnis müssen einfach auf alles reagieren – sonst platzen sie! Vor wenigen Tagen wurde mir ein Beitrag angezeigt, weil einer meiner Facebookfreunde einen launigen Kommentar darunter hinterlassen hatte: „Ey du, wenn du einen Koffer voller Geld finden würdest und dieser hätte genau den Betrag deiner Handynummer. Wieviel Geld hättest du dann?“ Mein ehemaliger Schulfreund machte sich – wie die meisten – über die Frage lustig, aber eine nicht allzu kleine Minderheit antwortete brav und wahrheitsgemäß. „Ja, Wahnsinn!“, dachte ich mir und begegnete keine fünf Minuten später in einer Gruppe, in der es eigentlich ums Lesen geht, gleich dem nächsten off-topic-Post: „Wenn du deinen Partner an dem Ort, an dem ihr euch zum ersten Mal gesehen habt, heiraten müsstest, wo würde die Hochzeit stattfinden?“ Über 400 Menschen hinterließen innerhalb von knapp zwei Stunden mehr oder weniger ausführliche Kommentare, in denen sie eine ganze Menge über sich preisgaben. Sie hatten ihre Partner unter anderem „in der Rehaklinik“, „In der Psychiatrie“, „in der geschlossenen Psychiatrie“, „bei MacDonald’s“, „Im Tattoo-Studio“, „im Krankenhaus“, „an der Hauptschuleeee“, „am Bahnhof“, „im BDSM-Club“, „auf der Arbeit beim Bosch“, „vor einem Fachgeschäft für Motorsägen“ und „in der Kaserne“ kennengelernt. Natürlich ist es schön, wenn Menschen anderen Menschen unterhaltsame Geschichten erzählen, aber ob eine anonyme Öffentlichkeit, die die Plattform eines Unternehmens nutzt, das keinen Hehl daraus macht, einen eher laxen Umgang mit Nutzerdaten zu pflegen, auch wirklich der richtige Ort dafür ist, erscheint doch recht fraglich…
JACKPOT – DEIN TAG IST GERETTET!
Menschen, die unter quälender Langeweile leiden, empfehle ich daher eine total lustige Sache: Treffen Sie sich mit Freunden (wenn das gerade nicht möglich ist, kann man’s auch alleine machen) und zerschnippeln sie eine alte Zeitschrift. Die Schnipsel kommen dann in einen Hut oder in ein anderes kopfgroßes Gefäß. Und dann geht’s los! Einfach irgendwelche Fragen stellen und Schnipsel ziehen – es wird garantiert mindestens genauso lustig wie bei einer App und kein Unternehmen erfährt, welche Freunde wir haben und wie viele Stunden am Tag wir nichts Besseres zu tun haben als uns zu fragen, welcher Hund wir aufgrund unseres Sternzeichens wohl sind… Und wer keine Zeitschrift zur Hand hat, kann einfach würfeln: Eine 1 bedeutet „Lob vom Chef“, eine 2 „innige Momente“, eine 3 „neue Freunde“, eine 4 „Bargeld lacht“, eine 5 „überraschender Besuch“ – und jetzt kommt’s: eine 6 bedeutet „JACKPOT!“ – und schon ist der Tag gerettet…