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Über Indiskretion in sozialen Netzwerken
Es ist ja so: Nicht jedes moralische Vergehen ist juristisch relevant. Wenn ich zum Beispiel versehentlich meinen eigenen Hund überfahre und ihn danach aufesse, dann ist das moralisch höchst fragwürdig, aber keine Straftat. Im Zeitalter sozialer Netzwerke stellt sich die Frage: Ist Indiskretion im Internet strafbar oder „nur“ moralisch verwerflich? Bereits Karl Lagerfeld, der soziale Netzwerke verachtete, erklärte: „ich finde, das sind unnötige Indiskretionen!“
Früher gingen Partnerschaften in die Brüche, wenn ein Partner das Tagebuch des anderen fand und darin unschöne Passagen über sich selbst entdeckte. Aber was ist nun, wenn intime Details nicht nur mit dem Tagebuch, sondern mit der Öffentlichkeit geteilt werden?
Vor einigen Jahren forschte ich als Kulturwissenschaftlerin zum Phänomen der unglücklichen Liebe. Zu diesem Zweck recherchierte ich u.a. in Trennungsgruppen auf Facebook. Dort weinen sich Verlassene und unglücklich Verliebte aus und versuchen sich mit dysfunktionalen Bewältigungsstrategien gegenseitig zu helfen, was dann oftmals zu noch mehr Leid führt. Im Grunde genommen, suchen die Menschen dort auch nicht wirklich Hilfe, sondern vor allem einen Ort zum sogenannten „Auskotzen“ – meistens über den schrecklichen Partner, der an allem Schuld ist.
Und so ein „Auskotzen“ impliziert in der Regel einen hohen Grad an Indiskretion, sonst wäre es ja kein Auskotzen. Wenn ich mir den Magen verdorben habe, erbreche ich schließlich auch keine frischen Rosenblüten…
Kürzlich kam mir wieder einmal ein Beitrag aus einer Trennungsgruppe mit rund 10.000 Mitgliedern unter – das ist eine verdammte Kleinstadt und nicht der Kreis der besten Freundinnen. In dem Post erzählte eine junge Frau vom Erlöschen ihrer Liebe zu ihrem langjährigen Partner. Sie erklärte, sich in einen anderen Mann verliebt zu haben, der viel netter zu ihr sei, während ihr Verlobter sie wie Dreck behandele. Dabei stinke er (im Gegensatz zum Neuen) und außerdem lege er sich immer in Boxershorts aufs Bett und warte, dass sie auf ihn draufspringe, wenn er Sex wolle. Es ging noch um weitere Details, die sie an ihrem Partner auszusetzen hatte. Das Ganze veröffentlichte die Frau nicht etwa anonym, sondern unter ihrem rechten Namen. Man brauchte nicht einmal auf ihr Profil zu gehen, um zu sehen, in welchem Dorf sie wohnt – übrigens nur zwei Dörfer weit weg von dem Ort, in dem ich lebe, was natürlich meine Neugierde weckte. Mit nur einem Blick auf ihr Profil war klar, wer ihr Partner war und dass sie ihm seit Wochen etwas vormachte. Unter die Herzchen, die er ihr für ihr jüngstes Profilbild gegeben hatte, hatte sie mit einem „Ich liebe dich!!!“ geantwortet, obwohl sie in ihrem Beitrag in der Trennungsgruppe geschrieben hatte, dass sie ihn seit einem Jahr nicht mehr ausstehen könnte. Mit einem Klick auf sein Profil wurde mir wieder einmal vor Augen geführt, wie klein die Welt doch ist. Er und ich haben zwei gemeinsame Freunde. Wer entsprechend veranlagt ist, könnte in so einem Fall ganz leicht „böse Fee“ spielen und allerlei gemeine Dinge mit den erhaltenen Informationen treiben.
Und ich frage mich: Wie kann das passieren? Wieso veröffentlichen Menschen tagtäglich derart intime Details über ihre Partner? Gerne auch über Kinder oder andere Familienmitglieder. Ich habe in den letzten Jahren so viele private Dinge über Wildfremde erfahren, dass ich damit Romane füllen könnte. Aber wie es dazu kommen kann, ist nicht ganz klar. Vermutlich sind wir uns oftmals nicht dessen bewusst, dass es neben der virtuellen Realität auch noch eine echte Realität gibt. Und dass diese beiden Realitäten durchaus auch aufeinandertreffen können. Wie im Falle des stinkenden Bauern in Boxershorts… Wenn das jetzt drastisch klingt, tut es mir leid. Ich habe es mir nicht ausgedacht, sondern nur aufgeschrieben – ohne Namen und weitere Details zu nennen, die in dem Beitrag durchaus genannt wurden.
Datenschutz fängt nicht erst bei Fake-Gewinnspielen an, sondern bei der Person, mit der wir das Bett teilen. Vielleicht sollte einmal ein „Handbuch Beziehung in Zeiten digitaler Kommunikation“ erscheinen. Dafür würde ich gerne das Kapitel „Weißt du, was dein Partner online über dich gebracht hat?“ schreiben. Ich stelle es mir total schön vor, wenn Paare sich das abends gegenseitig zum Einschlafen vorlesen.