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Der Brexit war das, was man wohl eine schwere Geburt nennt. Das britische Baby wollte endlich unabhängig sein und nicht mehr am Rockzipfel von Mama EU hängen, aber aus dem Bauch wollte es nicht raus, weil mitten im Meer ein rauer Wind weht. Jetzt ist es vollbraucht – der Inselstaat ist raus aus der EU und möchte nun sein eigenes Ding machen. Und weil die ganzen Gesetze einen so in der neu gewonnenen Freiheit einschränken, sollen sie bald geändert werden. Diese DSGVO zum Beispiel, die in England GDPR heißt, ist ganz schön restriktiv, findet Boris Johnson. Er will in puncto Datenschutz zwar „hohe Standards“, aber er möchte selbst definieren, was das bedeutet. „We will restore full sovereign controls over our borders, immigration, competition, subsidy rules, procurement, data protection,” verspricht der Premierminister vollmundig, obwohl es 2017 noch hieß, dass der ungehinderte Datenaustausch zwischen EU und Großbritannien weiterhin gewährleistet werden sollte – was im Zusammenhang mit der EU stets an die Einhaltung der DSGVO gekoppelt ist. Aber was interessiert Boris Johnson Theresa Mays Geschwätz von gestern? Endlich frei – da kann man die GDPR schon mal in der Pfeife rauchen… Das Ding ist: Die DSGVO betrifft nicht nur jegliche Interaktion zwischen Unternehmen der EU und Großbritanniens. Sie schützt vor allem auch britische Bürgerinnen und Bürger. Zum Beispiel vor Massenüberwachung, die auf der Insel schon länger ein großes Thema ist.
LONDON – DIE EUROPÄISCHE ÜBERWACHUNGSMETROPOLE
Die britische Hauptstadt gilt als „CCTV-Hauptstadt Europas“, wobei CCTV für Closed Circuit Television (dt.: Videoüberwachungsanlage) steht. Witzigerweise ist es auch das Akronym für China Central Television, das chinesische Staatsfernsehen. An jeder Ecke gibt es Kameras, auch in sozialen Brennpunktvierteln – der Effekt, den die Massenüberwachung hat, ist allerdings geringer als man meinen mag. Nur selten tragen Videoaufnahmen zur Ergreifung von Straftätern bei. Im Heimatland von George Orwell, in dessen bekanntestem Roman 1984 ein totalitärer Überwachungsstaat porträtiert wird, setzt man trotzdem auf das Auge des „großen Bruders“. Was die Videoüberwachung im öffentlichen Raum angeht, müssen die britischen Bürger eher nicht befürchten, dass es durch den Wegfall der GDPR schlimmer werden könnte – das geht schlichtweg kaum noch. Obwohl: Von China lernen kann man immer, wenn’s um Überwachung geht. Ein Asien-Vergleich ist ja schon sehr populär: Von einem „Singapur an der Nordsee“ ist jetzt im Zusammenhang mit der britischen Insel die Rede. Das Land wird zur Enklave, die zwar große Freiheiten verspricht, aber auch allerlei Irrsinn und nichts, was man als „Sozialstaat“ bezeichnen könnte. Okay, unter Johnson wird der Besitz von Kaugummi vermutlich eher nicht mit jahrelangen Haftstrafen geahndet werden, aber wer weiß schon, was ihm sonst so einfällt.
Auch Versicherungen und Internetkonzerne haben leichteres Spiel, wenn Regelungen, die die DSGVO vorsieht, wegfallen. Kurz: Den Bürgerinnen und Bürgern tut Johnson sicher keinen Gefallen, wenn er das Thema Datenschutz laxer angeht.
ÜBERGANGSPHASE BIS ANFANG 2021
Da es nun einen geregelten Austritt – quasi einen geplanten Kaiserschnitt – gab, wird Großbritannien in puncto Datenschutz zunächst noch bis zum 31.12.2020 wie ein EU-Mitgliedsstaat behandelt. Und bis dahin ist ja noch eine Menge Zeit, um unzählige Verträge und Tee aufzusetzen. Vielleicht wird diese Frist dann auch noch verlängert. Bis 2023 oder so. Vielleicht will Johnson einfach nur ein bisschen rebellieren, aber das Hotel Mama gar nicht wirklich verlassen. Im Grund genommen ist es ja schon schön, wenn Mama einen bei Bedarf rettet und eine Menge Kram regelt. Nur einhalten müssen will man die Regeln halt nicht… Dafür muss es doch irgendeine Lösung geben… Zum Beispiel eine BDPR! Da steht dann das gleiche drin wie in der GDPR, aber es steht etwas anderes drauf: Boris‘s Data Protection Regulation. Das ginge!