Wäre es nicht lustig, wenn junge Eltern mit Verdauung, Schlaf und Entwicklung ihres Babys total spielerisch umgehen könnten? Zum Beispiel mit einer coolen App, die einen exakt darüber aufklärt, was beim Kind gerade so los ist. Man könnte ein Baby ja wie ein Tamagotchi großziehen! In den 90ern waren diese virtuellen Küken der Hit. Wer sich nicht vernünftig um sein Elektronikspielzeug kümmerte, musste bald schon seinen Tod beklagen. Das Drücken des Reset-Schalters stattete das Ei zum Glück immer wieder mit einem neuen Leben aus, so dass es nicht so schlimm war, wenn man mal etwas nachlässig damit umging. Bei einem echten Baby ist das natürlich anders. Und wie anstrengend das doch alles ist! Allein schon die Sache mit der Sauberkeitserziehung. Die kommen ja auf die Welt und können noch nicht einmal eine Toilette benutzen! Krass. Zum Glück gibt’s Windeln. Und wenn die voll sind, riecht man das sogar! Man fühlt es übrigens auch. Ein kurzer Griff an die Windel reicht und man weiß Bescheid. Ein geübtes Auge kann sogar auf einen Blick erkennen, wann ein Windelwechsel ansteht. „Hm“, haben sich die Leute von Pampers da wohl gedacht, „wäre es da nicht cool, wenn man sich das alles sparen könnte und statt das Baby anzuschauen, es zu beschnuppern oder anzufassen, könnte man das doch eine coole App machen lassen! DAS machen wir! Wenn die Windel voll ist, sagt die App einfach Bescheid. Mittlerweile wird doch eh jeder Scheiß getrackt und überwacht! Was für eine geile Idee! Wir nennen das ganze einfach Spy-poo! Nein, das ist doof, hm, Loo-me, na ja, Klo-mich ist vielleicht nicht ganz optimal, aber hmmm, Moment – Lumi! Das geht!“
LETZTE GEHEIMNISSE UND DER SIXTH SENSE
Überwachung findet mittlerweile von der Wiege bis zur Bahre statt. Über die Zulässigkeit von Videoüberwachung an Grabstätten wurde bereits häufig diskutiert, etwa im Zusammenhang mit dem Grab des ehemaligen Bundeskanzlers Kohl. Auch Kinder werden schon seit Jahren per Babyphone mit Kamera überwacht. Aber eine smarte Windel, die das letzte Geheimnis lüftet, das uns vielleicht noch geblieben ist, die hat tatsächlich noch gefehlt.
In dem Lumi-Werbevideo ist ein Hipster-Papa (der fände es bestimmt eklig, eine Windel anzufassen) zu sehen, der ein Baby im Tragetuch hat. Statt seine eigenen Sinne (schnuppern, tasten, sehen) zu bemühen, guckt er lieber auf sein Smartphone, während das Baby ihn knopfäugig anblickt. Die App teilt dem Vater mit, dass die Windel trocken ist. Puh, jetzt kann er beruhigt das Haus verlassen! Doch Windelinhalt ist noch lange nicht alles, was Spy-poo, äh, Lumi kann. Auch der Schlaf wird getrackt. Der puckartige Lumi-Sensor, der Feuchtigkeit und Bewegungen überwacht, kann natürlich nur an die entsprechenden Lumi-Windeln gepappt werden. Ach, und eine Full-HD-Kamera mit Nachtsichtfunktion und Zwei-Wege-Audio, sowie mit Sensoren, die Luftfeuchtigkeit und Zimmertemperatur ermitteln, gibt’s auch noch dazu! Die App dokumentiert Schlaf- und Ess- bzw. Trinkverhalten, Verdauungsverhalten und Meilensteine. Praktischerweise können die Daten easypeasy an den Kinderarzt – im Video eine vertrauensvoll lächelnde Kinderärztin – übermittelt werden. Der Arzt kann dann genau sehen, wann das Kind wie lange geschlafen, getrunken und Windeln „dirty“ oder „wet“ gemacht hat. Wow, wie praktisch! Da braucht man als Eltern ja überhaupt nicht mehr drauf zu achten, wenn das alles die App macht. Da kann man dann als Mutter entspannt Yoga machen und als Hipster-Papa cool abdancen, so wie das die Eltern im Video tun. Das ist alles so easy und überhaupt nicht mehr stressig… Alejandra, die „mom of Anna“ sagt auf der Seite von Pampers: „My sixth sense is called Lumi.“ Mensch, wie konnte unsere Spezies bisher eigentlich ohne smarte Windel überleben?! Super praktisch wäre übrigens noch eine Wickeldrohne! Hoffentlich liest das hier jemand von Pampers und schlägt das beim nächsten Brainstorming vor…
SHIT HAPPENS
Im Herbst wird die Überwachungswindel in den USA auf den Markt kommen. Und während das Thema in Deutschland eher kritisch diskutiert wird – eine Markteinführung hier würde sicher zu einem ordentlichen Shitstorm führen – sind viele Eltern in den USA begeistert, zumindest wenn man sich die Kommentare auf Facebook durchliest.
Procter & Gamble, der Konsumgüterkonzern, zu dem auch Pampers gehört, sammelt gerne Daten und wirbt ausgesprochen offensiv. Pampers-Windeln stecken in jedem Starter-Paket, das junge Eltern auf Entbindungsstationen mitbekommen. Schlaftracking und Verdauungsdaten würde ich jetzt mal als sehr persönliche Daten bezeichnen. Und natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Datenschutz. Inwiefern ist Missbrauch möglich?
Und ich kann nicht anders, als mir einen Chef im Jahre 2040 vorzustellen. Er checkt einen jungen Mitarbeiter, der gerade seinen Turbo-Bachelor gemacht hat. Geboren im Herbst 2019, gewickelt mit der Lumi von Pampers, er sitzt zur Rechten seiner Mutter beim Bewerbungsgespräch – und der zukünftige Chef sagt: „Sie arbeiten dann aber Spätschicht! Nach Auswertung Ihrer Lumi-Daten habe ich festgestellt, dass Ihre Verdauung schon immer morgens besonders aktiv war. Das erledigen Sie mal schön in Ihrer Freizeit! Willkommen in unserem Unternehmen!“