Eine Entführung im Sinne einer gewaltsamen Übernahme ist keine schöne Sache. Da sind wir uns wohl alle einig. Noch unangenehmer wird‘s allerdings, wenn wir gar nichts davon mitbekommen. Als würden wir eines Tages in einem fremden Kofferraum aufwachen und denken: „Huch, wie bin ich denn hier gelandet?!“
Unter dem Begriff Hijacking versteht man ursprünglich eine Flugzeugentführung – das ist der Stoff, aus dem Actionfilme sind. Heute wird Hijacking dank eines massiven Ausbaus der Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen fast nur noch im Zusammenhang mit dem Internet gebraucht. Da scheren sich nicht so viele um die Sicherheit. Klar, der Absturz eines Flugzeugs ist zum Beispiel tödlich, der eines Rechners vor allem nervtötend (Ausnahme: Es handelt sich um den Bordcomputer eines Flugzeugs).
Im Netz gibt es einen bunten Strauß an gewaltsamen Übernahmen, etwa Domain Name Hijacking, Network-Hijacking, Type-Writing-Hijacking, Browser Hijacking, TCP-Hijacking und vieles mehr… Derzeit sorgt das DNS-Hijacking wieder einmal für Schlagzeilen. Dabei geht es nicht um die Entführung unserer Erbanlagen, sondern darum, dass durch einen „Silent Server Swap“ (verborgener Serveraustausch) mit einem Fake-Server kommuniziert wird und dadurch Daten abgegriffen werden können. Stellen Sie sich vor, sie chatten mit ihrem Partner, aber in Wirklichkeit hat ein Perversling dessen Handy geklaut und fragt Sie jetzt alle möglichen intimen Sachen – zum Beispiel, wie Ihr Passwort lautet. Und weil Sie natürlich meinen, dass Sie mit Ihrem Partner kommunizieren und zu einer Partnerschaft Vertrauen gehört, antworten Sie auf alles ganz brav. Bei Gmail gucken wir ja auch nicht jedes Mal, ob wir jetzt wirklich auf der Seite von Gmail sind. Vor allem dann nicht, wenn es genau wie Gmail aussieht… Wäre ja irgendwie paranoid, oder? In etwa so, als würden wir mit unserem Partner ein geheimes Passwort vereinbaren, mit dem wir uns am Telefon immer authentifizieren müssten. „Hallo Schatz! Wie lautet die Parole?“ „Marmeladenbrot!“ Eigentlich keine schlechte Idee. Konspiration in der Beziehung ist irgendwie cool und trägt bestimmt zu einer besseren Bindung bei. Ein bisschen Bonny-und-Clyde-Feeling im Alltag kann ja nicht schaden…
HEY, PAYPAL/NETFLIX/GMAIL – BIST DU’S?
Alles, worauf wir im Netz zugreifen, liegt auf irgendeinem Server, der mit dem Internet verbunden und über eine IP-Adresse zu erreichen ist. Weil das Surfen im Netz aber sehr viel unattraktiver wäre, wenn wir bei jedem Seitenbesuch eine IP-Adresse eingeben müssten („Äh, 132.24.22.1, äh, nein, 132.34… oder war’s doch 123.24…?! Ahhh!“), wird das Ganze über das Domain Name System (DNS) benutzerfreundlicher. Schöner ist es, z.B. projekt29.de in die Adressleiste des Browsers einzugeben. Kann man sich auch deutlich besser merken als eine ellenlange Zahl. Unser Computer verbindet sich dann zunächst mit einem DNS Server, der anschließend die IP-Adresse der gewünschten Webseite abruft. Und an dieser Stelle können Menschen mit einem gewissen kriminellen Potenzial natürlich wunderbar einhaken, etwa durch die Umleitung auf eine nachgebaute Seite.
Von der aktuellen DNS-Hijacking-Attacke sind vor allem Nutzer von PayPal, Netflix, Gmail und Uber sowie brasilianische Banken betroffen. Schon seit Dezember 2018 wurde an den DNS-Einstellungen von Servern herummanipuliert, so dass zahlreiche User auf gefälschten Seiten landeten und dort ihre Zugangsdaten eingaben, weil diese den echten Seiten täuschend ähnelten. Gefälschte Webseiten können im aktuellen Fall an der URL-Adresse erkannt werden. Steht gleich zu Beginn https (Hypertext Transfer Protocol Secure), handelt es sich um die Seite des Anbieters. Steht da allerdings nur http, ohne das Secure-s, sollte man wie Rotkäppchen misstrauisch werden: „Aber Gmail, warum hast du denn kein https?“ „Damit ich deine Passwörter besser phishen kann!! Rooooaaar!“
Und dann sollte man auf keinen Fall seine Zugangsdaten eingeben und dringend mal den Router checken…
DIE SICHERHEITSLÜCKE IM HEIMISCHEN WOHNZIMMER
Das Einfallstor für die Angriffe sind Router, die entweder veraltet sind oder deren Firmware nicht auf dem aktuellsten Stand ist. Router sind oft eine Sicherheitslücke, die wir nicht auf dem Schirm haben. Dabei verbinden wir uns über sie mit dem Internet, was selbstverständlich gewisse Risiken birgt. Auf alle Fälle ist mit Routern einiges möglich, zum Beispiel das Scannen eines Raums. Im vergangenen Jahr gelang es einem US-Forscherteam der University of California in Santa Barbara allein mithilfe eines einzigen Smartphones in elf Büros zu gucken – und zwar durch die Wand. Bereits mit zwei WLAN-Geräten in einem Raum können Nutzeranwesenheit und Bewegungen zu über 99% ermittelt werden. Dies ist möglich, weil sich bewegende Körper Funkwellen stören und brechen. Das Forscherteam konnte auf diese Weise herausfinden, wie viele Menschen sich in einem Raum aufgehalten und was sie dort getan haben (z.B. tippen, rumlaufen etc).
Wer im Hinblick auf den aktuellen Fall unsicher ist, sollte auf alle Fälle den Router überprüfen. Veraltete Router sollten ersetzt, Firmware aktualisiert werden. Auch Standardpasswörter können Risiken bergen, denn wer dazu in der Lage ist, einen Router zu hacken, kann auch beliebig an den DNS-Einstellungen herumspielen, was dazu führen kann, dass man quasi eines Tages überraschend in einem fremden Kofferraum aufwacht und sich fragt: „Huch, wie bin ich denn hier gelandet?!“ Und das will schließlich keiner.