Kennen Sie diese gruselige Qwant-Werbung? Das gleichnamige französische Unternehmen, das die Suchmaschine betreibt, wirbt mit der Einhaltung strenger Datenschutzbestimmungen. In dem Spot trifft ein Mountainbiker auf einen total psychomäßigen Waldarbeiter mit Motorsense. Der Radfahrer hält an und der Sensenmann beginnt in emotionslos-leierndem Ton alle möglichen Informationen über Lars – jetzt kennen wir auch den Namen des Angesprochenen – runterzurattern. Zunächst lächelt Lars noch, denn sein Gegenüber spricht ihn mit seinem Namen an und bekundet damit Interesse an seiner Person. Aber dann wird es ihm doch unheimlich. Es ist ein klassisches Horrorfilmszenario, das etabliert wird: düstere Musik, ein mehr als psychopathisch wirkender Fremder, der sich im Wald rumtreibt und um ein dunkles Geheimnis weiß… In diesem Fall ist es Anne78, die der mit Marie liierte Lars über ein Datingportal kennengelernt hat. Was der Waldarbeiter runterleiert, sind Metadaten. Dafür musste er keine einzige persönliche Nachricht lesen, die Lars jemals verschickt hat. Persönliche Kontakte, auf Ortsdaten basierende Bewegungsprofile, Klick- und Kaufverhalten, das individuelle Vorlieben verrät (hier z.B. Salamipizza und gestreamte amerikanische Filme) usw. sagen weit mehr über uns aus, als selbstverfasste Inhalte – Metadaten sind damit interessanter als die Daten selbst. Unternehmen interessieren sich nicht dafür, was wir schreiben, sondern dafür, wer wir sind – und das verraten am zuverlässigsten eben unsere Metadaten. Durch sie wird unser Verhalten so vorhersagbar wie das Wetter – oft sogar noch viel genauer.
Was vor knapp 20 Jahren in dem Film „Minority Report“ noch eine düstere Dystopie aus dem Jahr 2054 war – die mehr oder weniger genaue Prognose von Morden durch Menschen, die aufgrund eines schweren Hirnschadens die Zukunft träumen können -, wäre heute dank der Aussagekraft von Metadaten gar nicht mal so unwahrscheinlich.
In einer im vergangenen Jahr am Alan Turing Institute des University College in London entstanden Studie, die den Titel „You are your Metadata: Identification and Obfuscation of Social Media Users using Metadata Information“ trägt, wurde ermittelt, dass von 10.000 Twitter-Nutzern 96,7 Prozent allein mit Hilfe ihrer Metadaten identifiziert werden konnten. Erschreckend? Da geht noch deutlich mehr! Was Metadaten alles können? Fast alles! Zum Beispiel töten…
„WE KILL PEOPLE BASED ON METADATA“ (MICHAEL HAYDEN)
„Skynet“ ist nicht nur eine bösartige künstliche Intelligenz aus dem Film „Terminator“, sondern zynischerweise auch der Name des NSA-Programms zur Identifizierung von potenziellen Terroristen. Die Betonung liegt dabei auf potenziell, denn der Klassifikationsalgorithmus sucht ja keine Terroristen, sondern Muster – und wer in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion solche Muster produziert, wird als Terrorist eingestuft und im Rahmen eines Drohnenangriffs liquidiert. Klingt wie eine Sci-Fi-Fantasie? Nö. Der Ex-NSA-Chef Michael Hayden bekannte 2014 freimütig: „We kill people based on Metadata.“
Das Ding ist: Auf Basis von Metadaten getötete Menschen sind mitunter überhaupt keine Terroristen, sondern lediglich fälschlicherweise Verdächtigte. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn der Mensch zum Muster wird, wird aus einem Journalisten, der zum Thema Einbruchsmethoden recherchiert, ein Einbrecher. Wenn ein System Werturteile fällt, sind diese kaum oder überhaupt nicht verhandelbar.
Wer auf der No-Fly-Liste steht, kann nicht in die USA einreisen. Dem Autor Ilija Trojanow, der 2013 einen Germanistenkongress besuchen wollte, wurde die Einreise ebenso verweigert wie mehreren anderen Personen, die sich kritisch zu den US-Geheimdienstpraktiken geäußert hatten. Cat Stevens und ein Baby standen auch mal auf der No-Fly-List. Babys sind schließlich bekannt für ihr kriminelles Potenzial… Die US-Fluggesellschaft JetBlue, die das Mädchen samt Eltern (klar, ein Baby kommt ja ohne Eltern auch nicht zurecht!) aus dem Flugzeug geworfen hatte, sprach später von einem Computerfehler. Kann passieren! Ist halt blöd… Wenn wir uns zu sehr auf Systeme verlassen, behandeln wir vielleicht mal einen Hund wie einen Präsidenten, weil er eben als Präsident deklariert wurde. Das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern ist aktueller denn je.
Eine umfassende staatliche Überwachung ist übrigens überhaupt kein Garant für Sicherheit. Wer wirklich etwas plant, kann Alternativen nutzen, die kaum Spuren hinterlassen. Nach Terroranschlägen zeigt sich häufig, dass nicht etwa eine mangelnde Massenüberwachung das Problem ist, sondern das Versagen einzelner Behörden.
MASSE UND MACHT
Metadaten sind also ein mächtiges Tool, das im schlimmsten Fall tödlich sein kann. Aber wer soll diese enorme Masse an Daten schon auswerten? Die haben doch bestimmt kein Interesse an meinen ganz persönlichen Daten, oder? Was macht es schon, wenn mir angezeigt wird, wo der nächste Pizzamann ist, weil Google nun mal weiß, dass ich Pizza mag? Ist doch eigentlich ganz nützlich… Und dass ich meinen Freundinnen Fotos von Schneelandschaften schicke, interessiert doch keinen. Das macht mich ja nicht terrorverdächtig – puh, Glück gehabt!
Die gruselige Qwant-Werbung, die sich auf das individuelle Profil eines Einzelnen bezieht, ist nur die halbe Wahrheit. Es ist nicht schön, ständig überwacht zu werden, aber normalerweise treffen wir kein einziges Mal in unserem Leben einen psychopathischen Waldarbeiter, der unser berechnetes Persönlichkeitsprofil runterrattert. Es fällt uns also entsprechend leicht, zu verdrängen, dass jemand unser Verhalten minutiös dokumentiert. Vielleicht ist es vielen von uns sogar egal.
Was aber ganz und gar nicht egal ist, oder es zumindest nicht sein sollte, ist das große Ganze. Masse ist Macht und Datenmasse ist die Supermacht des 21. Jahrhunderts. Wer weiß, wie jemand funktioniert, kann ihn auch steuern. Das trifft nicht nur auf technische Geräte zu, sondern auch auf Menschen. In der 11. Klasse hatte ich einen Mathelehrer, der passionierter Segler war. Es war ganz einfach ihn zu triggern. Irgendein maritimes Stichwort hat gereicht und der Tag war gelaufen – am Ende des Schuljahres wussten wir alles über den Skipper, mit dem er immer unterwegs war, aber wenig über Infinitesimalrechnung…
Wer die Bewegung von Massen berechnen kann, kann sie natürlich auch lenken. Digitale Manipulation ist die gar nicht mal so geheime Superkraft von Populisten. Wer Ängste sät, wird Wähler ernten. Ohne Social Media wäre Donald Trump nicht Präsident der USA.
DATENSCHATZ VS. DATENSCHUTZ
Wer nach Macht strebt, braucht einen Datenschatz und ist kein Fan von Datenschutz. 2,7 Milliarden Menschen nutzen Facebook, Instagram oder WhatsApp. 2 Milliarden tun dies sogar täglich. Nun sollen die Dienste auch technisch zusammengeführt werden. Bisher ist es noch möglich, WhatsApp die Weitergabe der eigenen Daten an Facebook zu untersagen. Voraussichtlich ab 2020 wird das nicht mehr möglich sein, denn dann soll das Ganze zu einem einzigen Messengerdienst und damit ausgesprochen kompakten Datenschatz zusammengefasst werden. Fun Fact: Mark Zuckerberg versucht die Sache als hehre Handlung im Sinne des Datenschutzes zu verkaufen. Denn bei einer Verschmelzung der Dienste würde die vielgepriesene Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, mit der WhatsApp gerne wirbt, zum Standard. Wow, was für eine tolle Sache! Aber unter dem Aspekt, dass die Inhalte unserer Nachrichten gar nicht so interessant sind, wie wir vielleicht meinen und der echte Datenschatz eben unsere Metadaten sind, wird uns hier nichts anders als ein glänzender Schneewittchenapfel untergejubelt, in den die Mehrzahl wohl auch hineinbeißen wird, denn wer will schon als paranoider Datenschutznerd quasi allein bei Messengerdiensten rumhängen, die einem so etwas wie Privatsphäre einräumen? Ist doch egal, was mit der Welt passiert, Hauptsache ich kann mit einem Wisch all meinen Freunden lustige Videos von Menschen schicken, die in einem umkippenden Gabelstapler sitzen…